Samstag, 26. Mai 2012

Lust 2.0 - Über das Begehren im Internetzeitalter




Klarer Fall von Binsenweisheit: Im Internet gibt es nichts, was es nicht gibt, schon gar nicht im Hinblick auf Sex. Meistens wird das mit einem gewissen Bedauern beäugt, weil die jetztigen und nachfolgenden Generationen wohl nie wieder so „unschuldig“ mit dem Thema Sexualität umgehen werden wie wir Thirtysomethings von heute vielleicht gerade noch so eben (bei uns hieß es immerhin auch schon, dass das Privatfernsehen und die Werbung uns „verdorben“ haben, aber wer hätte geahnt, wie harmlos das alles noch war...). Gleichwohl, wenn man drüber nachdenkt, war früher nun wirklich nicht alles besser, ganz bestimmt nicht in sexueller Hinsicht. Ein Beispiel: Wer noch in den 80er und den frühen 90er Jahren sein Coming Out als Schwuler oder als Lesbe hatte, fühlte sich in der Regel allein mit sich und diesen Gefühlen. Heutzutage ist es relativ einfach, an Informationen zu kommen und Kontakte zu knüpfen. Dass daran natürlich auch wieder ganz neue Gefahren gekoppelt sein können, lassen wir mal außenvor.

Kurz gesagt: Das Medium als solches bringt weder per se Schlechtes noch durchweg Gutes zutage, aber es hat die Welt verändert. Und während früher Scham und Scheu der Probanden Untersuchungen über Sexualität beeinflusst haben, haben sich die beiden Neurobiologen Sai Gaddam und Ogi Ogas repräsentativerer Quellen wie z.B. der Suchwörter im Internet bedient, um ihre Thesen zu untermauern. Das Ergebnis ist der vermutlich umfassendste Versuch, die Beschaffenheit des menschlichen Begehrens zu begreifen.

Ein wenig habe ich ja befürchtet, dass ich mich über dieses Buch ärgern würde. Denn oftmals sind mir soziobiologistische Forschungsergebnisse zu sehr den Geschlechterklischees aus der Steinzeit verhaftet. Daran ist meiner Meinung nach nicht die Biologie an sich schuld, sondern der Wissenschaftler, oftmals männlich, der hier die Rückschlüsse zieht. Es ist eine Sache, unsere Hormone für etwas verantwortlich zu machen, und eine andere, Geschlechterzuordnungen durch Steinzeitklischees derart zu zementieren, dass es in der heutigen Welt absurd erscheint.

Erfreulicherweise wird hier sehr wenig und sehr vorsichtig gewertet - schon gar nicht moralisch -  und im Vorwort betont, dass Statistiken immer nur Durchschnittswerte wiedergeben und nicht auf jedes Individuum zutreffen (gut, auch das ist zwar wieder eine Binsenweisheit, sollte man meinen, doch erinnere ich mich noch ungern und lebhaft an die begeisterten Leserinnen und Leser des Ehepaars Pease, die uns auf achso unterhaltsame Weise weismachen wollten, dass Männer nicht zuhören können und Frauen schlecht einparken, weil das schon in der Steinzeit so war. Also jedenfalls seit Steinzeitautos gab. Wahrscheinlich.)

Nun finde ich es interessant, dass ausgerechnet ein Autorenteam, das aus zwei Männern besteht, sich nicht damit abfindet, die riesengroße Porno-Männerwelt zu untersuchen und das weibliche Begehren damit unter „ferner liefen“ behandeln. Ich hätte mich nicht darüber gewundert, und vielleicht nicht mal auf den ersten Blick darüber geärgert, wenn es so gewesen wäre, denn die eher männlich geprägte Pornoindustrie ist es ja, die uns die ganze Zeit anschreit „Klick! Mich! An!, die allgegenwärtigen Pop-Up-Fenster und blinkenden Seitenbalken mit nacktem Fleisch.

Doch die Suchwörter geben ein relativ geschlechtsneutrales Bild ab, in der auch Frauen nach expliziten Inhalten suchen, nur eben anders. Und hier wird’s dann richtig interessant, finde ich. Viele Frauen, das weiß man ja, können mit „klassischer“ Pornographie nichts anfangen. Auch dann nicht, wenn das „Objekt“ ein Mann ist. Gleichwohl haben auch die wohlwollenden feministischen Ansätze mit Plot oder Kuschelszenen nur bei wenigen ein Prickeln erzeugt. Dass Frauen im Durchschnitt das geschriebene Wort bevorzugen, dass es dabei aber auch ruhig heftig zur Sache und vor allen Dingen ins Detail gehen darf, dürfte vielleicht einige überraschen. Weiterhin berichten die Autoren in diesem Zusammenhang über das Phänomen der Fanfiction und Erotic Romance Novels, deren Beliebtheit in den letzten Jahren durch das Internet geradezu explodiert ist – bei einem zu nahezu 100% weiblichen Publikum. Noch interessanter, dass auch Leserinnen und Autorinnen auch dann noch überwiegend weiblich sind, wenn es um Sex zwischen zwei Männern geht. In der so genannten „Slash“ Fanfiction nimmt sich frau dafür in der Regel zwei heterosexueller Charaktere vor und „dichtet“ ihnen eine Romanze an. In der Sprache dieser erotischen Geschichten fällt vor allem die Introspektive auf, der Blick auf die innersten Empfindungen der Protagonisten. Aber Vorsicht Vorurteile, hier wird nicht bloß gekuschelt: Dabei kann es sich um subtile Romanzen handeln oder um BDSM-Beziehungen.

Dass Männer Sex zwischen Frauen erotisierend finden, ist ja bekannt. Der „Kick“ liegt in beiden Fällen in der Verdopplung der Reize, heißt es.

Bei Frauen stellen die Autoren weiterhin fest, dass „wir“ differenzieren können zwischen physischer und psychischer Lust, während Männer da wohl tatsächlich etwas geradliniger gestrickt sind, wenn das Blut erst mal woandershin geflossen ist...Diese Diskrepanz ist wohl der Grund, weshalb es bisher noch kein wirksames Viagra für Frauen gibt.

Doch auch der Mann ist in seinem Begehren ein komplexeres Wesen, als man aufgrund der üblichen Klischees vermuten könnte. So ziehen die Herren der Schöpfung übergewichtige Frauen untergewichtigen vor, stehen auf ältere („MILFs“) und „besinnen“ sich neuerdings auf weniger durchgestylte Filme aus den 50er und 60er Jahren, die offensichtlich authentischer rüberkommen.

Da fällt mir auf: Auch wenn das Internet ein ganzes Panoptikum von Perversionen anbietet, so wirkt der anonyme Blick auf die Vorlieben der Massen wiederum geradezu...nun ja, durchschnittlich. Das hat doch irgendwie was Erfrischendes.

Der Titel schreit einem aus Bild-Zeitungs-Lettern entgegen „Klick!Mich!An!“. Im Original heißt es etwas unaufgeregter „A Billion Wicked Thoughts“, zu deutsch „Eine Milliarde schmutziger Gedanken“, was dem Inhalt sicherlich gerechter wird. Während der Titel nach pseudo-skandalösem Enthüllungsjournalismus klingt, war ich nämlich vom Inhalt wirklich angenehm überrascht. Ein paar Erkenntnisse waren mir persönlich wirklich neu oder zumindest noch nicht als wissenschaftliches Phänomen untergekommen. Dabei ist diese kluge Analyse über Sex und das Begehren im Internetzeitalter stets unterhaltsam und ausgesprochen spannend zu lesen – ohne sich dabei jemals auf das Niveau jener Bestseller zu begeben, die uns vor einigen Jahren die Welt erklären wollten. Seriöse Sachbuchautoren wollen uns ja ohnehin nicht die Welt erklären, sie wollen Zusammenhänge und Sachverhalte aufdecken -. und überlassen das moralische oder weltanschauliche Urteil dem Leser oder der Leserin. Finde ich. Und das ist hier gelungen.

Informationen des Verlags: 

Sai Gaddam, Ogi Ogas

Klick! Mich! An! Der große Online-Sex-Report

Originaltitel: A Billion Wicked Thoughts
Originalverlag: Dutton, New York 2011
Aus dem Amerikanischen von Bettina Spangler

Deutsche Erstausgabe
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 448 Seiten, 13,5 x 21,5 cm
ISBN: 978-3-7645-0431-1

€ 16,99 



Donnerstag, 24. Mai 2012

Sabines Quickies: Heidelbeerkomp(l)ott.



Jawoll. Heidelbeerkompott. Daran muss ich jedes Mal denken, wenn ich dieses Buch und sein Cover sehe. Ich finde es aber sehr gelungen, und Heidelbeeren passen ja zu einer richtig schönen Sommerlektüre.

Tatsächlich aber verspricht uns der Titel ein Frauenkomplott. Mal sehen: Eine Frau zieht nach ihre Scheidung die A-Karte, doch gemeinsam mit ihren Freundinnen beschließt sich, sich zu wehren. Damit fängt es an. Entscheidend bei dieser Geschichte ist aber nicht so sehr die Handlung, sondern die flotte, treffende Schreibe der Autorin und ihre genaue Beobachtungsgabe. Die Seitenhiebe auf das Arbeitsleben von heute, in denen studierte Frauen sich oftmals von einem Zeitvertrag zum nächsten hangeln - bestenfalls - treffen jedenfalls genauso ins Schwarze wie manch ironische Lästereien über Männer und Frauen. Mal wieder ein schönes Buch, das beweist, das "Frauenliteratur" kein Schimpfwort sein muss. Der eigentlich auf Regionalkrimis spezialisierte Gmeiner Verlag hat übrigens in diesem Frühjahr eine ganze Reihe "Frauenromane" auf den Markt geworfen, von denen sich einige recht viel versprechend anhören. Hier findet Ihr eine Übersicht.

Gehe ich jetzt ins Freibad oder koche ich Kompott?

Donnerstag, 17. Mai 2012

Der Nachttischstapel Mai 2012


Wie versprochen, mein erster Nachttischstapel. Wie Ihr vielleicht schon sehen könnt, eine wilde Mischung aus Neuerscheinungen und Büchern, die ich schon länger besitze und mal wieder hervorgeholt habe.





1. Richard C. Morais: Madame Mallory und der kleine indische Küchenchef (Pendo 2011)
Eine ganz zauberhafte Geschichte über das Kochen und über Lebensträume. Erinnert ein bisschen an "Chocolat". Ich würde auf die Taschenbuchausgabe warten, dann aber getrost zugreifen. Ist ein schöner Schmöker.
2.Ralf König: Dschinn Dschinn (Rowohlt 2005)
Nicht, dass ich es verheimlichen würde, aber was nur wenige von mir wissen: Ich habe eine nahezu vollständige Sammlung der Ralf König-Comics, und viele davon sehen schon ganz schön mitgenommen aus, weil ich sie immer wieder hervorhole. Dabei mag ich eigentlich gar keine Comics, mit Ausnahme eben von Ralf König und den Lesbencomics von Alison Bechdel.
"Dschinn Dschinn" habe ich wieder hervorgekramt, weil ich vor einigen Tagen im Kino den Doku-Film König des Comics von Rosa von Praunheim gesehen habe und mal wieder begeistert war von seiner Vielseitigkeit und seinem intelligenten Humor, seinem Mut, seiner unapologetischen Haltung. Da wird nix unter den Teppich gekehrt. Und nebenbei könnte ich mich jedes Mal aufs Neue bekringeln vor Lachen.
3. Marco Polo Reiseführer Lanzarote (Mairdumont 2011)
Bisschen unpassend vielleicht, aber da lag er nun mal. Ich bin letztes Jahr eine Woche auf Lanzarote gewesen und war sehr angetan von der kleinen Insel. Ursprünglich wollte ich kurz vor Ostern ein zweites Mal dorthin, aber das hat nicht geklappt. Aber es wird bestimmt nicht mein letzter Besuch dort bleiben, und dann wird mir dieses Buch wieder gute Dienste leisten. 
4. Helen Simonson: Mrs Alis unpassende Leidenschaft (Droemer 2012)
Eine Frühjahrsneuerscheinung, die ich von meinen ehemaligen Kollegen als Abschiedsgeschenk bekommen habe. Eine anglophil-indische Liebesgeschichte, die mir bisher sehr gut gefällt, bin aber noch nicht durch.
5. Carsten Sebastian Henn: Aqua et Vinum (Heyne 2012)
Meine Lieblingskrimis im Moment! Von diesen Weinkrimis aus dem Ahrtal habe ich schon zwei gelesen, einen weiteren möchte ich Euch demnächst in einer ausführlicheren Hörbuchrezension vorstellen, deshalb habe ich dieses Buch noch einmal rausgeholt, denn bei Hörbüchern vergesse ich die Namen meist wieder recht schnell. Mehr dazu dann ein anderes Mal.
6. Julie Peters: Im Land des Feuerfalken (Wunderlich 2012)
Der zweite Teil ihrer Neuseeland-Saga, der erste Teil heißt "Das Lied der Sonnenfänger" und war ein schöner Schmöker. Was mir als strickbegeisterte Leserin gefällt, sind die kleinen Szenen, in denen die Handarbeit eine Rolle spielt. Die Autorin strickt nämlich selbst und hat ein kleines Online-Wollgeschäft - außerdem ist sie sowieso eine ganz Nette. Wird man ja wohl mal so sagen dürfen ;o)...Ihr neues Buch habe grad erst angefangen. Da ich mich an viele Details aus dem "Lied der Sonnenfänger" erst so langsam wieder erinnere, stimme ich dem Klappentext zu, dass man den ersten Teil nicht unbedingt kennen muss. Schadet aber nicht.

Nicht zu sehen, aber ebenfalls auf meiner aktuellen "to read"-Liste sind noch weitere zwei Bücher. Zum einen bin ich gerade dabei, den 3. Teil von "Fifty Shades of Grey" als Hörbuch zu hören. 
Zum anderen hat meine Mutter im Augenblick noch die Fortsetzung der "Dienstagsfrauen" von Monika Peetz eingesackt, nachdem ich es mitgebracht habe. Es heißt "Sieben Tage ohne" und handelt davon, dass unsere Pilgerdamen diesmal sieben Tage gemeinsam heilfasten. Naja, mal schauen, ob die Fortsetzung hält, was sie verspricht.

So, das war's für heute. Ich wünsche Euch noch einen schönen Vatertag/ Feiertag!

Mittwoch, 16. Mai 2012

Der Nachttischstapel

Heute kam mir die Idee, eine neue Kategorie mit dem Namen "Mein Nachttischstapel" einzurichten. Viele Blogger berichten über ihren "SUB", den Stapel ungelesener Bücher, den es abzuarbeiten gilt. So etwas Ähnliches schwebt mir auch vor, allerdings liegen auf meinem Stapel auch halbgelesene oder immer wieder gelesene Bücher, eine wilde Mischung eben. Unabhängig davon, ob ich sie jemals ausführlich rezensiere, werde ich Euch in regelmäßigen Abständen davon berichten. Jetzt muss ich erst noch ein Foto machen.

Montag, 7. Mai 2012

Spiel mal wieder offline

Lange Abende auf Balkonien sind ein Grund mehr, mal wieder ein Gesellschaftsspiel aus dem Schrank zu holen. Oder vielleicht mal wieder ein neues zu kaufen, weil man die "alten" nicht mehr sehen kann? So ging's mir zumindest, mir stand der Sinn nach Abwechslung.

Was das mit Buchberatung zu tun hat? Nun, ganz einfach: Die meisten Buchhandlungen mit oder ohne Spieleabteilung sind in der Lage, das von mir vorgestellte Spiel von einem Tag auf den anderen zu bestellen. Dafür muss niemand nach "Amazonien"...und man kann natürlich auch in den netten, kleinen Spieleladen gehen und sich beraten lassen. Support your local dealer, sonst isser weg. :o)

Aber genug der Vorrede: Ich möchte Euch ein simples, aber unterhaltsames Familienspiel vorstellen. Es heißt "Wanzen tanzen" und ist Teil einer neuen Würfelspiel-Reihe aus dem Amigo-Verlag. Allesamt quadratisch und kompakt und das alles für 9,95 Euro (kein gebundener Preis, aber ich habe das Spiel bei den meisten Anbietern für diesen Preis gefunden). Die Zielgruppe sind Menschen ab 8, die einfache Regeln bevorzugen und dann einfach losspielen möchten.

Wer kniffeln kann, kann auch mit "Wanzen tanzen". Es gibt Straßen und Dreier und Full House...kennen wir. Netter Vorteil bei den Wanzen: Man braucht nichts aufzuschreiben. Die Punkte ergeben sich aus den erfüllten Aufgabenkarten und den Strafpunkten in Form von niedlichen, aber lästigen Babywanzen. Die richtige Mischung aus Strategie und Glück benötigt man vor allem dann, wenn auf den Aufgabenkarten mehrere Aufgaben hintereinander zu lösen sind. Man hat nämlich nur einen Versuch pro Aufgabe, danach ist der nächste dran und sahnt womöglich die Punkte ab. Dadurch entsteht Tempo und ein netter kleiner Ärgerfaktor.

"Wanzen tanzen" spielt sich fast intuitiv, ist hübsch aufgemacht und verspricht Langzeitspielspaß für die ganze Familie. Oder den Freundeskreis.

Absolut empfehlenswert.