Montag, 12. März 2012

Reise, aber weise: Wie Städte und Länder "ticken"

Heute möchte ich Euch zwei Reihen vorstellen, die einerseits eine ähnliche Zielgruppe ansprechen, andererseits aber auch sehr unterschiedlich gestaltet sind. Nachdem Reiseführer ja schon fast totgesagt waren, stellen in den letzten Jahren immer mehr Menschen fest, dass sie zusätzlich zum Navi doch gern ein paar Informationen über Land und Leute hätten. Neben den klassischen Reiseführern haben sich mittlerweile einige Reihen auf dem Markt etabliert, die einen etwas anderen Blick über den touristischen Tellerrand wagen. Zwei davon möchte ich Euch heute vorstellen: Die "Gebrauchsanweisungen" aus dem Piper Verlag und die "111 Orte" von Emons. Auch wenn die Gebrauchsanweisungen mit ebensolchen "Anleitungen" zum Entdecken verschiedenster Regionen, Städte und Länder animieren, sind beide Reihen schwerpunktmäßig für Städte-und Kulturreisende geeignet. Um Euch an anschauliches Bild dieser Reihe zu vermitteln, habe ich mir exemplarisch je einen Titel herausgepickt: Beginnen wir mit der "Gebrauchsanweisung für Münster und das Münsterland" von Jürgen Kehrer. Jürgen Kehrer, Moment mal, kennen wir den? Vielleicht nicht, wenn Ihr nicht aus der Gegend stammt, doch Ihr kennt sicher seines Geistes berühmtestes Kind, den Münster-Krimi-Detektiv Wilsberg. Jürgen Kehrer ist neben seiner Schriftstellertätigkeit Uniprofessor in der urigen Studentenstadt und führt uns literarisch kompetent durch "sein" Münster und die schlösserreiche Umgebung, in der man sich schon zu Droste-Hülshoffs Zeiten gern bei guter Kriminalliteratur gegruselt hat. Das liest sich ungemein angenehm in einem Rutsch durch und versetzt uns gewissermaßen schon mal in die notwendige Stimmung für das, was wir im Münsterland alles entdecken können. Genauere Angaben zu Sehenswürdigkeiten und Adressen von Hotels oder Cafés suchen wir hier aber weitestgehend vergebens. Die "Gebrauchsanweisungen" sind von Flaneuren für Flaneure geschrieben, und als solche funktionieren sie erstaunlich gut. Ich muss schließlich nicht unbedingt ein genaues Ziel vor Augen haben, wenn ich durch die Gassen wandere und mir die von Studenten und Drahteseln geprägte Stadt zueigen zu machen. Die "Gebrauchsanweisungen" geben eigentlich keine Anweisungen. Sie inspirieren und machen Lust auf eine Stadt, ein Land, eine Region. Und sie beschönigen auch nichts. Nun, vielleicht dann, wenn der Autor mal ins Schwärmen gerät. Doch er hält auch mit Kritik nicht hinterm Berg und verschweigt nicht, dass wir uns hier nicht in Berlin befinden, wo das Leben 24/7 pulsiert, bis der Arzt kommt. Gebrauchsanweisungen dieser Art gibt es beim Piper Verlag inzwischen an die 100 Stück . Beispielhaft seien folgende Reiseziele genannt: Eifel, Bretagne, USA, Island, Berlin, München, Freiburg und der Schwarzwald. Fast alle sind von namhaften Autorinnen und Autoren verfasst worden, was sie in der Regel zu einem Lesegenuss macht. Natürlich wird hier eine höchst subjektive Sichtweise vertreten, aber das macht es gerade spannend und lädt eben dazu ein, selbst mal "vom Weg abzukommen", um dabei Neues zu entdecken. Die "Nützlichkeit" ist sicher von Fall zu Fall verschieden, der Unterhaltungswert je nach Schreibstil des Autors auch, und dennoch: Die Reihe ist empfehlenswert.
Kommen wir zu der etwas neueren Reihe aus dem emons Verlag. Emons hat seinen Sitz in Köln und spezialisiert sich auf sogenannte Regionalkrimis, die immer beliebter werden. Statt sich jedoch auf eine bestimmte Region zu beschränken, will emons "weltweit regional" sein, so der Slogan. Der Brückenschlag zum Sachbuch und zum Reiseführer wurde mit der Reihe "111 Orte" versucht, von der zur Zeit 23 unterschiedliche Titel lieferbar sind. Die meisten sind in Deutschland angesiedelt oder *hüstel* gewissermaßen, denn Mallorca ist auch dabei...Die emons-Autoren sind also lokaler, "kleinschrittiger" unterwegs, bis hinein in tiefste Provinz, wenn's sein muss. Sie haben auch meistens einen Fotoapparat dabei, das unterscheidet sie von den Piper-Autoren. Trotzdem sind die bunten Bilder ganz anders als die, die wir üblicherweise aus Reiseführern kennen. Auf je einer Doppelseite wird ein Ort plus Bild vorgestellt, und ich kann nur sagen: Manches ist schon sehr schräg. Dennoch lädt der Text inclusive Adressen und sonstigen Informationen zur Nachahmung ein. So manches wird man sich hier rauspicken, anderes vielleicht doch nur lesen und staunen. Wusstet Ihr zum Beispiel, wie man zum Geisterbahnhof in der Berliner Siemensstadt kommt? Oder dass am Prenzlauer Berg Bäume stehen, in denen Bücher "wachsen"? Ihr seht, ich habe mir hier das Buch über die Hauptstadt vorgenommen. Hier gibt's übrigens eine Leseprobe, die auch das Design besser beschreibt, als ich es könnte: 111 Orte in Berlin. Aber ich versuchs dennoch: Die "111 Orte" wirken durch die stylishen Bilder und die kurzen, prägnanten Texte dazu. Für Leute, die lieber stöbern und blättern statt sich in ein Buch zu vertiefen, sind sie eher geeignet, aber sie verlangen dem Leser und Betrachter auch einen aufgeschlossenen Blick ab. So mancher mag vielleicht auch sowieso meinen: Ich muss überhaupt gar nichts, schon gar nicht gerade diese 111 Orte sehen. Oder andere, zum Kuckuck. Stimmt. Das alles sind und bleiben appetitliche kleine Großstadt-oder Provinzhäppchen mit passendem Serviervorschlag. Na und? Es macht trotzdem Spaß, darin zu blättern. Für 14,99 € (Piper) bzw. 14.95 € (emons) bekommt Ihr einen stabilen, aber flexiblen Einband und eine sehr unterschiedliche, aber doch bei beiden recht schöne Gestaltung. Ich persönlich finde die "Gebrauchsanweisungen" gehaltvoller, zumal manche allein schon aufgrund der illustren Autorennamen neugierig machen: Birgit Vanderbeke zeigt uns Südfrankreich, Heinrich Steinfest führt uns durch Österreich und kein Geringerer als der Kabarettist Bruno Jonas spottet liebevoll über "sein Bayern". Doch aufgrund der regionalen und deutschlandbezogenen Schwerpunkte kann man sicher auch auf mehr aus der "111 Orte"-Reihe gespannt sein. Und ganz nebenbei: Beide Reihen sind nicht nur was für Reisende. Zum einen kann man damit auch prima die eigene Heimat "neu" entdecken und zum anderen ist ja auch gegen die berühmte "Reise mit dem Finger auf der Landkarte" nichts einzuwenden.
Lucia Jay von Seldeneck, Carolin Huder: 111 Orte in Berlin, die man gesehen haben muss, emons 2011, ISBN 9783897058538, 14,95 € Jürgen Kehrer: Gebrauchsanweisung für Münster und das Münsterland, Piper 2011, 9783492276054, 14,99 €

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